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12. Juni 202412.06.24

Setzt euch zusammen! Teil 1

Maschinenringe Deutschland GmbH

Karen Hendrix ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie – und hat zusätzlich mehrere Jahre lang auf einem Milchviehbetrieb mitgearbeitet. Dafür hat sie das Bildungsprogramm Landwirt (BiLa) absolviert. Diese Erfahrung nutzt sie heute, um Menschen aus dem landwirtschaftlichen Umfeld mit psychischen Problemen zu behandeln.

Karen Hendrix ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie

Autorin: Katharina Geiger

Unter anderem leitet Hendrix die „Grüne Gruppe“, das ist eine wöchentliche Gesprächsrunde in der psychosomatischen Klinik Simbach am Inn, an der vor allem Landwirtinnen und Landwirte teilnehmen. Wir haben sie gefragt, welche Rolle der soziale Druck innerhalb und außerhalb der Familien bei der Entwicklung von psychischen Problemen spielt. Und auch, was dagegen helfen kann.

1950 gab es unter 100 Erwerbstätigen 25 Landwirte, heute ist es gerade noch einer. Wie wirkt sich das auf das Dorfleben aus?

Es fehlt der Austausch, der vor einigen Jahren noch ganz selbstverständlich auf der Straße stattgefunden hat. Da trifft man sich heute kaum noch. Für Landwirte ist es noch schwieriger als für alle andern: Sie haben oft im weiten Umkreis keine anderen Milchviehhalter oder Schweinebauern mehr. Es gibt kaum noch jemanden, der in der gleichen Situation ist und einen sofort versteht.

Verliert die Dorfgemeinschaft damit ein Stück weit die Funktion, Sicherheit und Zugehörigkeit zu vermitteln?

Ja. Man trifft ja auch keine nicht-landwirtschaftlichen Nachbarn mehr. Der Bauer, der noch als Bauer arbeitet, hockt auf seinem Traktor und die anderen sind in der Arbeit oder sitzen im Garten beim Grillen. Die beiden Welten haben kaum Kontakt zueinander. Selbst die Landfrauengruppen bestehen heute häufig aus ehemaligen Städterinnen, die aufs Land gezogen sind. Die einzige Bäuerin fühlt sich da auf verlorenem Posten.

Was macht das mit den Menschen, wenn sie sich nicht austauschen können?

Das ist sehr individuell. Es kann dazu führen, dass man sich einsam fühlt, von allen anderen missverstanden und kritisiert. Das kann richtig krank machen. Wir alle brauchen Anerkennung, damit es uns gut geht.

Auch wenn man wenig miteinander spricht: Auf dem Dorf ist es weiterhin wichtig, was „die Anderen“ denken. Wie erleben Sie das in der Arbeit mit den psychisch angeschlagenen Personen?

Viele von ihnen erzählen, dass ihnen das Gefühlt zu schaffen macht, dass die „normale“ Bevölkerung ihre Arbeit sehr kritisch sieht. Und auch von einem starken Konkurrenzdenken unter den verbliebenen Landwirten. Das erhöht den Druck und damit den Stress. Heute nimmt auch innerhalb der Berufsgruppe jeder weniger Rücksicht auf den anderen. Die jüngeren Landwirte haben es oft noch besser drauf, aber irgendwann unterliegen auch sie der sozialen Kontrolle: Höher, schneller, weiter, wer fährt den modernsten Traktor? Das erlebe ich bei meinen Patienten immer wieder. Dann sieht man nur noch die Arbeit und diesen Wunsch nach mehr, mehr, mehr …

Gibt es auch positive Entwicklungen?

Was schon besser wird: Es wird nicht mehr so viel getratscht über die einzelnen Leute. Ich denke, es ist alles nicht mehr so moralisch wertend. Früher war es wichtig, dass die Kinder adäquat heiraten, dass bloß niemand homosexuell ist, dass alles schön innerhalb des anerkannten Wertegefüges bleibt. Heute heißt es nicht mehr: hast du gehört, der soll fremdgehen, sondern eher: hast gehört, der baut einen neuen Stall? Das Private ist heute nicht mehr so wichtig, es geht mehr um die Arbeit des Landwirts. Das hat den Vorteil, dass es mittlerweile auch alternative Lebensformen gibt, die nicht mehr so kritisch beäugt werden. Neue Partnerschaften nach einer Scheidung zum Beispiel.

Auf der anderen Seite wird die Arbeit des Landwirts heute oft vom Rest des Dorfes genau beobachtet.

Ich habe das in meiner Zeit auf dem Hof selbst miterlebt: Einmal hat sich der Nachbar beschwert, weil wir am Sonntag mit den Maschinen gefahren sind. Dabei ist er selbst noch als Bauernkind groß geworden und sollte wissen, wie eng es oft werden kann! Wir hatten dann eine kleine Auseinandersetzung und haben ihm gesagt: Weil du keinen Hof mehr hast, solltest du trotzdem wissen, dass wir unsere Arbeit tun müssen. Er hat sich dann entschuldigt. Aber andere rufen die Polizei. Diese Art der sozialen Kontrolle ist ein echtes Problem.

Was macht das mit den Landwirten?

Das sorgt für viel Überdruss. Und für sehr viel Wut. Wenn sie nicht ausgelebt werden kann, wird sie zur Depression.

Im zweiten Teil unseres Interviews mit Karen Hendrix erfahre, wie du in solchen Situationen reagieren und wie du wieder ins Gespräch kommen kannst.
Das Interview erscheint am 16. Juni unter dem Titel „Setzt euch zusammen – Teil 2“.

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