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Magazin Ausgabe 02/2023
02/2023
7. Mai 202307.05.23

Die Rückkehr der Wildnis

Maschinenringe Deutschland GmbH

Der Biologe Jan Haft, geboren 1967, ist ein vielfach ausgezeichneter Natur- und Tierfilmer. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern auf einem Bauernhof im Isental bei München. In seinem Buch „Wildnis. Der Traum von unberührter Natur“ beschreibt er, wie Biodiversität unmittelbar mit Landschaftspflege und Landwirtschaft in Verbindung steht und davon profitieren könnte. Maschinenring Magazin Chefredakteur Gunther Lehmann traf sich mit ihm zum Gespräch.

Herr Haft, Sie sagen, Wildnis kann in unseren Breiten über Nutztiere wieder entstehen. Ihre Forderung lautet „Bringt die Rinder auf die Wiesen“! Wie darf man das verstehen?

Wir hatten über Millionen von Jahren immer große Tiere in Mitteleuropa und Deutschland. Als die modernen Jäger nach der Eiszeit kamen, verschwanden diese großen Tiere. Aber wir haben einige von ihnen gezähmt, nämlich Wildpferde und Auerochsen. Sie wurden die Stellvertreter für die verlorenen Wildtiere in unserer Landschaft. Es gibt Zählungen aus der Kaiserzeit um 1900, da hatten wir 26 Millionen Rinder und Pferde in Deutschland und die standen nicht im Stall. Die waren die größte Zeit ihres Lebens draußen auf der Wiese oder im Wald, eben in der Landschaft und sind nicht entwurmt worden. Und die haben sich unheimlich positiv aufs Ökosystem ausgewirkt. Der Niedergang unserer Biodiversität lässt sich sehr gut zeitlich am Verschwinden der Nutztiere aus der Landschaft festmachen.

Hängen wir mit unserem heutigen Verständnis von Wildnis und Natur dann einem völlig falschen Bild hinterher?

So ist es. Wir haben die Idee, wenn der Mensch nichts mehr macht in der Fläche, muss ja Wildnis entstehen. Der Gedanke ist aber ein Trugschluss, denn wenn wir das Großtier nicht haben, dann haben die Pflanzen keinen Gegenspieler. Dann übernehmen die Büsche, Gehölze, Stauden und die Bäume die Region und die Artenvielfalt nimmt ab. Und deshalb ist diese Kulturlandschaft, in der nicht intensiv gewirtschaftet wird, so gut für die Wildnis, weil sie Platz bietet für ganz viele Organismen, die früher zusammen mit den Großen lebten.

Warum gibt es diese Landschaften heute nicht mehr?

Mit den Landreformen im 19. Jahrhundert und den preußischen Forstgesetzen hat man die Waldweide verboten und die Tiere aus dem Wald rausgeschmissen. Der Wald wurde optimiert als Holzertragsfläche. Und genauso hat man das Grünland dahin optimiert, immer mehr Tiere drauf zu füttern, von der Stallhaltung, zur intensiven Stallhaltung bis hin zur Silage-Wirtschaft, bei der dann notwendigerweise die Exkremente der Tiere als Gülle wieder rausgefahren werden. In diesem Kreislauf hat man alle Organismen rausgekegelt, die früher in der Kette des Lebens vom Rind lebten.

Und wie können wir sie zurückholen?

Wir müssen heute schauen, dass wir kleine Korrekturen vornehmen, würde ich sagen. Wir brauchen den Maisanbau und wir brauchen sicher auch eine Fleischproduktion, die ergiebig ist. Aber wir können zum Beispiel schauen, dass wir auf Grenzertrag-Standorten und Hochwasser-Einzugsgebieten, oder da, wo der Boden wenig hergibt, verstärkt wieder Tiere in die Landschaft rausbringen, um den Artenrückgang zu stoppen. Die Tiere sind gut fürs Klima, machen eine schöne Landschaft, maximales Tierwohl und gute Lebensmittel. Da frage ich mich, wo ist das Gegenargument?

Das heißt auf den Punkt gebracht, unsere Landwirtschaft könnte im Prinzip einen entscheidenden Beitrag zur Biodiversität leisten?

Den entscheidenden Beitrag, denn sie hat es jahrhundertelang gemacht. Nachdem die Menschen sesshaft geworden sind und eigentlich das ganze Land mehr oder weniger besiedelt hatten, war es die Landwirtschaft, die das Land gestaltet hat, ohne Gift und mit Tieren, die draußen weiden. Und da gab es kluge Konzepte, die wir heute vergessen haben. Ein Feld brach zu legen hieß im ursprünglichen Sinne, mit dem Ackerbau zu pausieren und mit Tieren zu beweiden, denn im Boden liegt eine Samenbank. Und wenn man einen Acker, der nicht mit Herbiziden behandelt wurde, auflöst, dann wachsen sofort unheimlich viele Kräuter, Gräser, Stauden, Leguminosen. Nach ein, zwei oder drei Jahren Beweidung hat sich so die Fruchtbarkeit stark erhöht. Heute macht man das natürlich mit ganz modernen Methoden, aber man kann vielleicht punktuell zu solchen Konzepten zurückkommen, da, wo sie sich anbieten.

Also wir stellen dann alle unsere Rinder und Pferde auf die Weide und dann verwildert alles, oder wie? Wie funktioniert es konkret?

Wir wollen keine Revolution lostreten. Wir brauchen intensiven Landbau und wir haben unsere Forstwirtschaft. Aber es gibt Wissenschaftler, die sagen, wenn wir fünf Prozent der Landesfläche mit Elektrozäunen umgeben und Rinder und Wasserbüffel draufstellen würden, dann könnten wir damit den Rückgang des Insektensterbens und den Rückgang der Biodiversität stoppen. Und fünf Prozent wären leicht zu haben.

Wie soll sich das dann für einen Landwirt rechnen?

Über finanzielle Anreize wäre das schon hinzubekommen. Aber das ist eine Zukunftsdebatte, die soll die Politik führen, die will ich jetzt gar nicht anstoßen. Ich sehe nur, dass das Bedürfnis der Gesellschaft und das des Staates da ist, etwas für die Biodiversität zu tun. Und das Charmante an der Biodiversität ist ja, im Gegensatz zum Klimawandel ist sie immer regional.

Hinter der eigenen Haustür halten Sie zwei Wasserbüffel auf einer sumpfigen Wiese, quasi als Vorbild?

Das Thema treibt mich schon länger um, ich habe in den vergangenen drei, vier Jahren extrem viel recherchiert für mein Buch „Wildnis“ und für zwei, drei Filme, die wir gerade zum Thema gemacht haben. Weil ich tatsächlich erst in den letzten Jahren so richtig realisiert habe, dass die nicht entwurmte Kuh auf einer größeren Weide der Schlüssel für ganz viele unserer Naturschutz-Probleme sein kann.

Haben Sie sich über ihren Vorschlag schon mal mit Landwirten unterhalten?

Ich bin da erst dran, weil ich habe ja noch einen anderen Job. Ich würde gerne durchs Land sausen und mit den Leuten reden. Aber es ist natürlich schwierig, wenn der Herr Tierfilmer kommt und dann den Landwirt berät. Mir wäre es lieber, Berater würden das in ihr Portfolio aufnehmen. Wir haben tatsächlich schon ein paar Beweidungsprojekte angestoßen, aber das sind alles alternativ wirtschaftende Leute. Wir haben noch keinen klassischen Milchviehhalter umstimmen können. Mir ist schon klar, dass ich die Landwirtschaft natürlich nicht umkrempeln kann. Aber man kann ja auch gute Wege erst im Kleinen beschreiten. Ohne Aufregung und ohne Revolution anfangen, den klugen Gedanken in die Welt bringen und hoffen, dass er sich fortpflanzt. Und dann werden wir schon sehen, was dabei rauskommt.

Zur Person

Der Biologe Jan Haft, geboren 1967, ist vielfach ausgezeichneter Natur- und Tierfilmer. Seine Filme laufen in Fernsehen wie Kino. Sein Schaffen umfasst bis dato mehr als 100 Arbeiten. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern auf einem Bauernhof im Isental bei München. In einem Feuchtgebiet hinter seinem Haus bereichern seit einiger Zeit bereits zwei Wasserbüffel die Artenvielfalt. In seinem Buch „Wildnis – Unser Traum von unberührter Natur“ hinterfragt der Spiegel-Bestseller-Autor unser Verständnis von Wildnis und entwirft einen neuen Wildnisbegriff. Am Ende steht die Botschaft, dass eine klimafreundliche und artenreiche Landschaft einfach zu haben wäre, wenn wir es wollen. Der Landwirtschaft käme dabei eine entscheidende Rolle zu.

Jan Haft, Wildnis – Unser Traum von unberührter Natur, Penguin Verlag, Pappband, 144 Seiten, 18 Euro.

„Es ist natürlich schwierig, wenn der Herr Tierfilmer kommt und dann den Landwirt berät.“

Jan Haft

Hinter dem Haus von Jan Haft weiden die Wasserbüffel der Familie.

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